#VDMO
Vereinigung der Medien-Ombudsleute
, Anton Sahlender

Transparenz, weil sie den Unterschied ausmacht*

Journalistische Transparenz ist in seiner Gesamtheit ein weitgehend unbestelltes aber gerade in der digitalen Welt zunehmend wichtiges Feld. Transparenz bietet Chancen und erweitert die Zahl journalistischer Möglichkeiten. Ein Pro und Contra (gefunden in der Zeitschrift für Journalistikforschung 1/2019/2. Jahrgang) soll das weite Feld der Transparenz beispielhaft öffnen.

Der Journalistik-Professor Gunter Reus schreibt sinngemäß, dass es den Fall Relotius nicht gegeben hätte, wenn Transparenz gepflegt worden wäre. Das heißt, Relotius hätte eben jeweils erklären müssen, wenn in seinen Beiträgen eine fiktive Gestalt eingesetzt worden ist. Es sei Irrglaube das Fiktionalität im Journalismus nichts zu suchen habe (Titel „Ja, Fiktionalität passt in den Journalismus/Entscheidend ist Transparenz“).  

Widerspruch kommt vom Journalismus-Professor Tanjev Schultz. Für ihn hat in der Regel Fiktion im Journalismus nichts zu suchen. Schultz hält fest, dass Journalisten keine Dichter sind (Titel: Nein, Fiktionalität passt nicht in den Journalismus/Über den Unterschied von fiktionalem und faktualem Erzählen“).  

Darüber mag jede/r trefflich mitdiskutieren.  

Es ist mir nicht gelungen, Veröffentlichungen zu finden, welche die Transparenz im Journalismus in ihrer Gesamtheit schulmäßig erschließen und sich dabei mit ihrer Bedeutung (Wirkung) beschäftigen. Es finden sich – wie im aufgezeigten Beispiel – meist Einzelfälle.  

Aus meiner Erfahrung als Journalist und Medien-Ombudsmann heraus, meine ich feststellen zu können, dass es Transparenz möglich macht ...

  • ... das Publikum besser zu erreichen,
  • ... den Leuten näherkommen,
  • ... glaubwürdig und
  • ... vertrauenswürdig zu sein,
  • ... Ihr Medium und Ihre Beiträge aus der Masse herauszuheben,
  • ... Medienkompetenz zu schaffen und
  • ... Qualität zu steigern!

Zunächst ein Rückblick: Jahrzehntelang wurde das Publikum nach dem Motto – Verzeihung - „Friss oder stirb“ bedient. Das noch über die Jahrtausendgrenze hinaus. In einer überschaubaren medialen Welt waren Zweifel die Ausnahmen. Selten konnte man erfahren, wie Redaktionen arbeiten und auch nicht so genau, was eigentlich ihre Rolle ist und ... wo und wann sie Schwächen haben.  

Alles in allem: Darüber blieb Medienkompetenz auf der Strecke – vor allem beim Publikum. Heute, da sie mehr denn je gebraucht wird, fehlt sie allzu oft.  

So muss es nicht verwundern, wenn Medien und die journalistische Arbeit in Teilen der Öffentlichkeit zu undurchsichtigen (zwielichtigen) Gebilden wurden und oft in der Nachrichten-Masse zu verschwinden drohen. Dabei ist ein Bedeutungsverlust zu beklagen. Zuweilen ist von Identitäts- oder Legitimationskrise die Rede.  

Mangel an Kompetenz für die Einschätzung von Nachrichten und Medien ist verbreitet. Das macht sich im digitalen Zeitalter negativ bemerkbar. Oft frage ich mich, ob wir als Journalisten ob jahrzehntelanger Versäumnisse mit dem Versuch, das zu ändern, nicht zu spät dran sind. Gelegentlich muss man einen Kampf gegen Windräder führen.  

Grundsätzlich sehe nicht nur Schulen und andere Bildungseinrichtungen in der Pflicht, sondern in erster Linie die Journalisten und Medien selbst. Angesichts ihrer grundgesetzbasierten Rolle in der Demokratie und der damit verbundenen Rechte, gehört es mit Sicherheit zu den wichtigsten Pflichten von Journalisten, Transparenz zu pflegen. Was wir gerne von politischen Verantwortlichen fordern, sollten wir selbst nie vernachlässigen.  

Zudem: Ohne Transparenz sind wir unter den Informanten im Net, nur einer von unendlich vielen ...  

Aber genau dort, in der digitalen Welt, soll doch die Zukunft liegen. Genau dort begegnet der Journalismus Gefahren: Das Internet und die Sucht nach Reichweite sind Einfallstore für Untugenden. Sie drohen schleichend Werte aufzufressen, die für Journalismus unerlässlich sind und nicht verloren gehen dürfen.  

Zu den Gefährdungen zählen auch Skandalisierungen, Zuspitzungen, Übertreibungen, befördert in Schlagzeilen und Teasern. Von Fakes will ich schon gar nicht reden.  

Wesentliche journalistische Grundsätze und Werte transparent zu machen und offensiv zu verteidigen bedeutet nicht, dass man sich unaufhaltsamer Transformation zum Digitalen entgegenstellt.  

Ethische und rechtliche Grundsätze müssen aber mitgenommen, müssen gerettet werden. Sie machen Journalismus aus, gleich in welcher Form er dargeboten wird. Sie sind es, die den Unterschied im Massenbetrieb Internet ausmachen.  

Was wir nun häufig brauchen, hat der Schweizer Journalistikprofessor Vinzenz Wyss einmal als „Beipackzettel“ für journalistische Beiträge bezeichnet.  

Sieben mögliche Kategorien von Transparenz, die zu Veröffentlichungen dazugehören oder ihnen folgen können, habe ich herausgearbeitet:  

1. Persönlich ....  

Das kann mehr sein als Autorennamen zu nennen:  

Etwa die Erklärung, dass es ein persönliches Verhältnis zum Thema gibt, auch durch besonderes Kenntnisse. Antwort auf die Frage, ob eine Nähe zu beteiligten Personen oder Gruppen besteht, ob es bei Autoren*innen zielführende Fähigkeiten/Ausbildungen, Stärken, Schwächen gibt (Beispiel siehe: Eine Beteiligte hat berichtet  

Sogar das Alter der/des Autors/in könnte eine Rolle spielen, wenn es für das Thema relevant ist.  

Ein Plus: Einige Medien pflegen dauerhaft vorgehaltene Autoren-Darstellungen in Foto oder Video.  

2. Thematisch ...  

Fragen, die Antworten verdienen. Wie wurde das Thema gefunden? Was ist uns daran wichtig? Was ist offen geblieben? Wie wird es weitergehen?  

Quellen sollten gut eingeordnet sein.  

Eingestehen: Auch Möglichkeiten von Journalisten sind endlich.  

Nicht vergessen: Haben Quotenberechnungen eine Rolle gespielt? Wie sehen die genau aus? Wie gehen wir damit um?  

3. Handwerklich  

Warum die gewählte Darstellungsform für das Thema oder Ereignis? Erklären, warum wir dazu eine Reportage, ein Video oder ein Storyformat bieten. Recherchewege und besondere Vorkommnisse / Begegnungen.  

Kritische Fragen stellen Leser/Nutzer zuweilen auch zu Platzierungen und Präsentationsformen.  

Bei Interviews sollten die Gesprächsumstände und Vereinbarungen deutlich werden (Etwa: „Das I. ist aus einem einstündigen Gespräch mit XX entstanden. Die Antworten wurden hinterher von ihm autorisiert. Er hat nichts mehr geändert.“)  

4. Ethisch  

Was war schützenswert, muss wegbleiben.  

Welche Abwägungen haben eine Rolle gespielt (Schutz von Opfern und Angehörigen versus berechtigtes öffentliches Interesse).  

Vermiedene Diskriminierungen. (Beispiel: Warum wir den Täter von Halle nicht mit vollem Namen nennen) 

5. Rechtlich  

Welche rechtlichen Grenzen wurden beachtet?  

Was dürfen wir weshalb nicht veröffentlichen?  

6. Das Hinterher: Kritikfähigkeit und Dialogbereitschaft.  

Mögliche Folgen der Berichterstattung aufnehmen. Das heißt, Vorwürfe prüfen, Fehler sofort anerkennen und berichtigen. Stichwort: Kritikfähigkeit pflegen.  

Unklarheiten oder Interpretationsprobleme an wesentlichen Stellen auflösen. Verständlich erklären und und nicht nur oberflächlich.  

In Kommunikation mit Lesern/Nutzern eintreten, digital, gedruckt und mündlich.  

In der Redaktion dazulernen: In der Kommunikation mit Nutzern und Lesern erschließen sich zum Thema oft neue Kategorien von notwendiger Transparenz.  

7. Veränderungen/Neuerungen/Branche  

In Medienhäusern bewegt sich derzeit ständig etwas. Halten Sie die Leute darüber auf dem Laufenden. Neuerungen und Veränderungen der Strukturen und Arbeitsweisen sollten ehrlich und nicht wie PR-Texte verbreitet werden. Vorteile sollten gegen Nachteile ehrlich abgewogen werden. Wie begegnet man Unsicherheiten. Jede Erklärung vermittelt Medienkompetenz.  

Grundsätzlich darf Transparenz nicht zum Selbstzweck werden oder als Marketing-Instrument eingesetzt werden. Transparenz muss dem Inhalt angemessen sein.  

Stichworte: Keine Aufdringlichkeit. Kurz und klar bleiben. Das eigentliche Thema darf nicht überlagert werden.  

Elegant ist es, Transparenz im Beitrag geschickt einfließen zu lassen, ohne das Thema zu belasten. Das heißt, das Thema bleibt im Vordergrund.  

Ich fasse zusammen:  

Transparenz schafft Nähe zum Publikum. Die ist vielfach verloren gegangen, weil viele Redaktionen vor Ort geschlossen wurden. Die Zahl der Journalisten, die vor Ort unterwegs und ansprechbar sind, ist ohnehin geringer geworden.  

Transparenz (Aufrichtigkeit/Ehrlichkeit) schafft Glaubwürdigkeit: Sie macht den Unterschied ...  

Transparenz erfordert Kritikfähigkeit. Fehlereingeständnisse und Erklärungen dazu schaffen Respekt und führen zu mehr Vertrauen.  

Transparenz fördert Medienkompetenz, gerade im Publikum.  

Transparenz steht für Qualitätsgewinn. Das Pflegen von Transparenz ist Schulung für Redakteure und Redaktionen.  

Diese Transparenz-Erklärungen entspringen langjährigen eigenen Erfahrungen, Gesprächen mit Lesern*innen und Kollegen*innen.  

Es wäre gut, empirische Erkenntnissen hinzufügen zu können. Das ist ein Hinweis an die Kommunikationswissenschaft.  

Streben nach Transparenz stellt wachsende Anforderungen an Journalisten. Es erfordert solide Kenntnisse, was es zu bedenken gibt.  

Also betone ich, dass journalistische Transparenz stärker in die Aus- und Fortbildung Eingang finden sollte.  

Ein Zitat habe ich einem Beitrag von Professor Klaus Meier von der Uni Eichstätt entnommen. Der hat sich im MediumMagazin ebenfalls für Transparenz eingesetzt und tut es in seiner Uni gewiss noch.  

„Das Publikum kann die Nachrichtenmaschine besser verstehen und Redaktionen sind sich ihrer Verantwortung mehr bewusst, wenn sie offen arbeiten. Dann liefern sie letztlich bessere Qualität.“  

Diese Worte lassen unter anderem erkennen, dass Transparenz nach außen und innen wirkt.  

Praktische Anmerkungen: Signalwirkung für Transparenz, die in allen Redaktionen gepflegt werden sollte, lässt sich erzielen,

  • ...über Medien-Ombudsstellen (siehe www.vdmo.de ) oder
  • ...über Leserbeiräte, die regelmäßig beratend in Redaktionen eingeladen werden oder
  • ...über Schulbesuche durch Journalisten, so im Rahmen der Aktion Medienvertrauen

Für vorbildliche Pflege von Tugenden, die mit journalistischer Transparenz einhergehen (darunter: Selbstreflexion, Kritikfähigkeit) ist seit einigen Jahren ein einzigartiger Journalistenpreis vom Verein zur Förderung der Publizistischen Selbstkontrolle ausgeschrieben, der MedienSpiegel  

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*Vortrag von Anton Sahlender, Vorsitzender der Vereinigung der Medien-Ombudsleute e.V. und Leseranwalt der Main-Post in Würzburg (10. Herbstforum der Initiative Qualität im Journalismus / Berlin, 14. Oktober 2019).