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Vereinigung der Medien-Ombudsleute
, Achim Muth

"Transparenz fast schon in ekelhafter Weise angemahnt": Main-Post-Leseranwalt Anton Sahlender geht in Ruhestand

Ade! 20 Jahre kümmerte sich Anton Sahlender bei der Main-Post um die Anliegen der Leserinnen und Leser. Was der Leseranwalt seiner Nachfolgerin Claudia Schuhmann wünscht. Interview von Achim Muth mit Anton Sahlender und Claudia Schuhmann.

Nach 20 Jahren und 1000 Kolumnen als Leseranwalt der Main-Post macht Anton Sahlender nun Schluss. Als Mediator und Ombudsmann hat der 74-Jährige Maßstäbe gesetzt: Bei seinem Start 2004 war er der erste Leseranwalt in Deutschland. Leidenschaftlich hat sich Sahlender für die Anliegen der Leserinnen und Leser eingesetzt. Der engagierte, mehrfach ausgezeichnete Lokaljournalist hatte 1971 als Volontär bei der Main-Post begonnen, von 1988 bis zur Rente 2014 war Anton Sahlender Stellvertretender Chefredakteur. Seine Nachfolge tritt Claudia Schuhmann an: Die 51-Jährige aus dem Büro der Chefredaktion ist unter anderem für Presserechtsfragen zuständig und wird ab 1. August die Aufgabe als Leseranwältin der Main-Post übernehmen.

Zum Abschied und Start spricht Achim Muth, stellvertretender Chefredakteur der Main-Post, mit den beiden: Um was kümmern sich Leseranwälte vor allem? 

Frage: Wozu brauchen Leserinnen und Leser einen Anwalt?

Anton Sahlender: Weil diese Anwälte für eine Sache kämpfen, die es im Journalismus kaum gibt. Und dort, wo es sie gibt, wird sie häufig vernachlässigt: Transparenz. Meist arbeitet man in den Redaktionen im Angebot für die Leserschaft nach dem Motto: friss oder stirb.

Es geht darum, die Arbeit der Redaktion sichtbarer nach außen zu machen?

Sahlender: Ja, es geht darum, Einblicke in Arbeitsweisen zu geben. Aber auch um Kritikfähigkeit. Damit meine ich nicht nur die Größe, Fehler transparent einzugestehen. Sondern auch darum, durchaus mal Zweifel an der eigenen Arbeit anzumelden und darüber zu reflektieren, ob eine Geschichte nicht auch anders hätte gemacht werden können. Transparenz darf aber kein Selbstzweck sein.

Seit 2004 warst Du als Leseranwalt für die Main-Post tätig, mit welchem Erfolg?

Sahlender: Ihr habt euch gebessert. Eindeutig. Ich glaube, ein bisschen habe ich dazu beigetragen. Gerade die Transparenz habe ich ja fast schon in ekelhafter Weise immer wieder angemahnt. Leseranwälte müssen so arbeiten, als wollten sie sich selbst überflüssig machen. Mir liegt noch ein Punkt am Herzen: Das Grundgesetz verleiht dem Journalismus besondere Rechte: das Recht auf Auskunft beispielsweise oder das Recht, seine Informanten und Quellen zu schützen. Die Pressefreiheit ist ein hohes Gut und es ist richtig, dass Journalisten diese Rechte genießen. Ich glaube dennoch, dass sie öfter freiwillig in praktischen Fällen Rechenschaft ablegen sollten, wie sie damit umgehen. Aber auch da sehe ich positive Zeichen bei der Main-Post. Die Chefredaktion hat zuletzt einige Stücke über interne Arbeitsweisen geschrieben. Trotzdem bin ich ein ewiger Unzufriedener. Ich bin der Meinung, die Zeitung muss besser werden. Aber das musste sie schon immer.

Foto: Daniel Peter | "Es macht mich glücklich und zufrieden, dass diese Ombudsstelle bei der Main-Post weitergeführt wird": Anton Sahlender war zwei Jahrzehnte lang der Leseranwalt der Main-Post.

Wie fällt Deine Bilanz als Leseranwalt aus?

Sahlender: Ich komme zu der Einschätzung, dass ich als Einzelkämpfer ein schwaches Glied gewesen bin. Ich bin mit mir nicht zufrieden. Ich vermisse ein Bewusstsein für Transparenz, für Selbstreflexion. Ich vermisse den Dialog mit der Leserschaft. Eine neue Studie des Reuters-Instituts sagt, dass 75 Prozent der Menschen gern mehr über die Arbeitsweisen, mehr über Hintergründe wissen würden. Doch wenn ich mich in der Medienlandschaft umschaue: Sorry, wo wird das umgesetzt?

Sprichst Du da als Vorsitzender der Vereinigung deutscher Medien-Ombudsleute, die Du mitgegründet hast? Für uns würde ich das so nicht stehen lassen wollen.

Sahlender: Ja, das möchte ich nicht in Abrede stellen. Ich sehe zuweilen Briefe, die Kolleginnen und Kollegen an Leser schreiben, die hätten von mir stammen können. Manche übernehmen sogar Formulierungen von mir. Das freut mich. Ich gebe zu, dass ich mir damit schwertue, den gesamten Medienmarkt von der Main-Post zu trennen. Bei der Main-Post habe ich in der Tat positive Signale wahrgenommen.

Es gehört zum Wesen des Leseranwalts, Kolleginnen und Kollegen auch zu kritisieren . . .

Sahlender: Vorneweg: Ich habe viele Fehler gemacht. Als Reporter, aber auch als Stellvertretender Chefredakteur. Ich könnte also viel erzählen darüber, was ich alles selber nicht getan habe, was ich heute von der Redaktion fordere. Zur Frage: Ja, die Kollegen! Manche sind bei meinen Kolumnen regelrecht aus der Haut gefahren, wiewohl ich nie persönlich geworden bin, sondern stets anonymisiert die Sache beleuchtet habe. Das ist mir immer wichtig gewesen.

Wie waren die Reaktionen aus der Leserschaft?

Sahlender: Die waren vielfältig. Vor einigen Jahren hat mir ein Leser geschrieben, dass er nach Hamburg umzieht und deshalb die Main-Post abbestellt – und alles, was er vermissen wird, sei meine Kolumne. Von so einem Lob zehrt man lange.

Für die Redaktion kein gutes Zeugnis. Die Kolumne kann man allerdings auch in Hamburg lesen – in der digitalen Version. Wie viele Leserinnen und Leser haben sich bei Dir gemeldet?

Sahlender: Ungefähr einer pro Woche. Mal mehr, mal weniger.

Was ist der Unterschied Deiner Aufgabe zu der des Deutschen Presserats, der sich ebenfalls mit Beschwerden auseinandersetzt?

Sahlender: Der Presserat ist gut und wichtig. Aber er hat hohe Hürden und die Ergebnisse kommen spät, oft erst nach einem halben Jahr. Das niederschwellige Angebot der Leseranwälte ist näher, direkter. Ich hatte schon mehrfach versucht, eine Zusammenarbeit zwischen Presserat und den Medien-Ombudsleuten zu initiieren. Ich wurde aber vom Presserat mit meinem Ansinnen in einer Welle aus wohlwollenden Worten hinweggeschwemmt.

Freust Du Dich jetzt auf mehr freie Zeit?

Sahlender: Mein Anspruch war, jede Woche eine Kolumne zu schreiben, weil du sonst überhaupt nicht wahrgenommen wirst. Das führte zu stressigen Situationen, weil ich vor Urlauben vorgearbeitet habe und in den Urlauben meinen Laptop dabei hatte. Das fällt künftig weg. Ich hoffe, dass ich in kein tiefes Loch falle.

Du reichst den Staffelstab als Leseranwalt an Claudia Schuhmann weiter. Welchen Rat gibst Du Deiner Nachfolgerin mit?

Sahlender: Sei stark. Sei stark und lasse dich nicht umwerfen von jedem Gejammer. Ich wünsche Dir viel Kraft für diese Aufgabe.

Foto: Christoph Weiss | Claudia Schuhmann aus dem Büro der Chefredaktion übernimmt zum 1. August die Aufgabe als Leseranwältin der Main-Post.

Claudia, mit welchen Gefühlen gehst Du die Aufgabe an?

Claudia Schuhmann: Einen kleinen Kloß im Magen habe ich schon, weil es sich um eine große und wichtige Aufgabe handelt. Andererseits weiß ich ja, dass Anton immer für mich erreichbar ist, wenn ich gerade in der Anfangszeit eine Frage oder ein Problem habe. Dazu habe ich Ansprechpartner in der Chefredaktion, die mir bereits ihre Hilfe angeboten haben, wofür ich sehr dankbar bin. Ich bin jetzt auch schon teilweise im Beschwerdemanagement eingebunden, aber ich bin wirklich gespannt, was in der neuen Rolle auf mich zukommen wird.

Welche Schwerpunkte möchtest Du setzen?

Schuhmann: Allein die Existenz dieser Anlaufstelle für Leserinnen und Leser ist enorm wichtig. Früher haben Medien und Zeitung nahezu ausschließlich gesendet, obwohl Leser schon immer das Bedürfnis hatten, ihre Sicht publik zu machen. Vielleicht sind es oft gar nicht Beschwerden oder konkrete Fragen, die die Menschen beschäftigen, sondern es geht darum, dass jemand zuhört. Und zuhören kann ich gut.

Du arbeitest im Büro der Chefredaktion, hast in Deiner Rolle als Leseranwältin aber freie Hand. Die Aufgabe soll kein Feigenblatt sein. Wir wünschen uns, dass Du die Leserreaktionen ernst nimmst und auch den Finger in die Wunde legst, wenn es nötig ist.

Schuhmann: Ich habe in Sachen Unabhängigkeit keine Bedenken. Manche werden sicher die Vorstellung haben, wenn sie sich an die Leseranwältin wenden, werden sie recht bekommen. Das kann, muss aber nicht so sein. Ich habe schon die Erfahrung gemacht, dass bei manchen eine falsche Vorstellung herrscht von dem, was und wie wir hier arbeiten. Insofern sehe ich mich in einer Vermittlerrolle. Die Kolumne werde ich fortführen, wann immer sich ein Thema ergibt. Der Journalismus wandelt sich enorm, vielleicht ergibt es sich auch als Leseranwältin, mal mit anderen, moderneren Formaten zu experimentieren und noch mehr Menschen zu erreichen.

Foto: Daniel Peter | Anton Sahlender mit Claudia Schuhmann, der neuen Leseranwältin der Redaktion. 

Dann bleibt uns nur, Dir, Claudia, alles Gute zu wünschen und Dir, Anton, Danke zu sagen für 20 Jahre leidenschaftliches Arbeiten im Interesse der Leserinnen und Leser. Wenn ich das anfügen darf: Deine persönliche Bilanz darfst Du gerne positiver ziehen, als Du es in diesem Gespräch getan hast. Auch wenn Du die Redaktion oft gefordert und sie mit unbequemen Fragen zu Fehlern gelhert hast: So war das richtig und wichtig.

Sahlender: Ich sage auch Dankeschön dafür, dass ihr mich das habt machen lassen. Es macht mich glücklich und zufrieden, dass diese Ombudsstelle weitergeführt wird. Das macht es mir leicht aufzuhören. Bleibt transparent. Werdet noch sichtbarer.

Quelle: Main-Post, 27.07.2024