#VDMO
Vereinigung der Medien-Ombudsleute
, Burkhard Nagel (Qualitätsmanager ARD aktuell)

Die Lage ist komplex

Impulsreferat Dr. Burkhard Nagel beim 14. Offenen Treffen der Medien-Ombudsleute beim Hamburger Abendblatt am 26. Oktober 2018.  

Mein Name ist Burkhard Nagel, ich bin der Qualitätsmanager von ARD aktuell. Ein Job, den wir erst vor einem guten Jahr erfunden haben und den sich nicht viele Redaktionen leisten. Dabei geht es weniger darum, die Qualität zu steigern, als vielmehr darum, sie zu erhalten.  

 

Das crossmediale Zeitalter mit dem Nebeneinander von Fernsehen, Online, Social und Messenger-Diensten und der Verzahnung dieser sehr unterschiedlichen Ausspielwege macht es ehrlich gesagt auch für uns als Redaktion schwer, noch einen Überblick zu haben, was wir eigentlich alles mit welchen Formulierungen, in welchem Umfang, in welcher Schnelligkeit verbreiten. Und damit das wenigstens einer tut, der einen Blick auf alle Hervorbringungen hat und auch nach außen erklären kann, wie die Redaktion an die Themen herangeht, daraus ist die Idee des Qualitätsmanagers entstanden.  

 

Ein Phänomen dabei ist die schon angesprochene Vielzahl der Ausspielwege. Tagesschau, Tagesthemen, Nachtmagazin, tagesschau.de, Tagesschau in 100 Sekunden, Facebook, Twitter, Instagram, Facebook live und Social Bots. All diese Sendungen und Plattformen erfordern eine eigene Herangehensweise und eine eigene Sprache. Das ist aufwändig. Und das machen wir, weil wir es für wichtig halten, mit unabhängigen Nachrichten möglichst viele zu erreichen, nicht um den Verlagen und kommerziellen Medienkonzernen das Geschäft zu versauen.  

 

Es ist schon ein paar Jahre her, da besuchten uns durchaus nachrichten-affine RTL-Volontäre. Sechzehn. Davon hatten vierzehn keinen Fernseher und keinen festen News-Account. Es sei eigentlich immer so, wenn wirklich was in der Welt passiere, gebe es irgendjemanden in der Community, der darauf aufmerksam machte. Dann würde gesucht, auf Newsseiten und auch bei der Tagesschau, aber eben nur dann.  

 

Anders sei es hingegen, wenn man ab und an die Eltern besuchte. Da würde um 20 Uhr immer die Tagesschau gesehen. Und das fänden sie auch gut, weil es zum Eltern-Ritual gehöre.  

 

Fein. Aber es bedeutet, dass diese Menschen als Eltern dieses Ritual nicht mehr so leben werden. Die Sendung zu einem festen Zeitpunkt, also die Tagesschau um 20 Uhr, wird es im On-Demand-Zeitalter immer weniger geben. Bei zehn Millionen Zuschauern im Schnitt ist das vielleicht noch nicht wirklich erkennbar, aber der Trend scheint eindeutig.  

 

Andererseits haben die öffentlich-rechtlichen Nachrichtenprogramme das wunderbare Privileg, über den Rundfunkbeitrag eben nicht von kommerziellen Interessen und lobbyistischen Rücksichten geleitet zu sein.  

 

Ich möchte das an einem Beispiel verdeutlichen. Auch wenn die Quote für die Tagesschau jetzt nicht so existentiell ist, die Redaktion ist trotzdem bemüht, dass ihr Produkt an möglichst vielen öffentlichen Plätzen sichtbar ist. Bahn, Bahnhöfe, Hotels etc. Wir waren mit der Lufthansa im Gespräch. Tagesschau in der Lufthansa-Lounge. Fanden alle gut.  

 

Dann wies die Lufthansa darauf hin, dass Flugzeugabstürze und Unglücke in der Lounge tabu seien, um die Passagiere nicht zu verunsichern. Das aber wäre natürlich eine klare Einschränkung für unabhängige Berichterstattung. Ging mit der Tagesschau nicht. Keine Ausstrahlung in der Lufthansa-Lounge. Wir sind ausgestiegen.  

 

Ich möchte damit sagen, dass kommerzielle oder auch politische Aspekte allerorten lauern und der Wert einer unabhängigen Berichterstattung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Deswegen möchten wir mit unserem Angebot möglichst viele, unabhängig von Alter, Bildung und Herkunft, erreichen. Und das wird uns nur gelingen, wenn wir dahin gehen, wo die Menschen News zur Kenntnis nehmen. Langfristig wird das nicht mehr vor allem abends um 20 Uhr im Fernsehen sein.  

 

Ich bin geneigt zu sagen, eher im Gegenteil. Die Nutzungsgewohnheiten haben sich geändert, und die Änderungen werden noch weiter gehen. Vermutlich wird die komplette 20-Uhr-Ausgabe eines Tages in der epischen Länge von fünfzehn Minuten als unzumutbar empfunden werden.  

 

Ein kurzer Überblick über möglichst viel Inhalt und dann ein, zwei Themen herausgepickt, für die man sich interessiert - das scheint der neuen Nutzungsgewohnheit am nächsten zu kommen. Das Wichtige ist, dass die Mediennutzung weit weniger passiv abläuft als in früheren Generationen. Glotze an, warten bis es Nachrichten gibt. So ist das nicht mehr.  

 

Stattdessen ist heute jeder, wenn er will, sein eigener Programmdirektor.  

 

Trump ernährt sich, wie es scheint, allein von Fox News. Und auch Sie und ich steuern zumindest vorrangig Plattformen und News-Dienste an, die uns irgendwie sympathisch sind, die Freunde und Kollegen auch nutzen, deren Inhalten wir eher zustimmen, als dass wir sie ablehnen.  

 

Wir schaffen uns selbst Räume mit selektiven Mehrheiten, in denen wir uns erwartungsgemäß wohlfühlen. Wohlfühlen ist prima, aber damit sinkt die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit Andersdenkenden. Wie steht's denn bei uns allen mit der Toleranz, das Gespräch mit Menschen zu suchen, deren Sicht garantiert nicht die unserige ist ?  

 

Und natürlich hat diese schwindende Bereitschaft, sich mit Positionen auseinanderzusetzen, die zur eigenen kontrovers sind, Auswirkungen. In unserem Fall stellt sich die Frage, wen erreichen wir eigentlich (in Klammern noch) mit unseren Nachrichten ?  

 

ARD aktuell, meine Redaktion, ist da mit ihrer Nachrichtensprache in einem doppelten Dilemma. Zum einen möchten wir die Homepage, die verschiedenen Social-Plattformen, die gute, alte Tagesschau im Fernsehen so ausspielwegsgerecht wie möglich bedienen, also auch in unseren Formulierungen. Zum anderen verlangt die Kürze in den Sozialen Netzen, die Jugendlichkeit der User eine leichtere Sprache, die eher locker ist, im schlimmsten Fall sogar weniger korrekt, und trotzdem unangreifbar ist. Das ist oft ein ganz schmaler Grat.  

 

Hinzu kommt, dass die vorhin erläuterten selektiven Meinungsräume mit der sinkenden Toleranz gegenüber Fakten, die nicht ins eigene Weltbild passen, schnell und gerne als Fake News gebranntmarkt werden.  

 

Wie gesagt, das Web macht die zweiseitige Kommunikation leicht. Das ist gut. Posts, Tweets, Mails - rasch wird protestiert und bewusste Manipulation unterstellt. Die eigene Sicht ist im Selbstbild natürlich objektiv, unsere wieder ein Beleg dafür, wie die Medien mit den Tatsachen umgehen. Das ist anstrengend.  

 

Ein Bespiel dazu aus jüngster Zeit. In einer 20-Uhr-Ausgabe der Tagesschau ist das Mitglied der umstrittenen Gruppierung "Juden in der AfD", Bernhard Krauskopf, zu Wort gekommen. Das Zitat, in der Tagesschau zu sehen und zu hören, lautete: ... "und dann importiert man eine Bevölkerungsgruppe, die zumindest zu 60 Prozent eingefleischte Judenhasser sind."  

 

Dieser Satz blieb im Reporterbericht ohne, wie wir sagen, journalistische Einordnung, ohne eine wie auch immer geartete relativierende Einbettung. Intern war das sehr umstritten.  

 

Warum ? Der AfD-Mann hatte über die offenkundig provozierende Formulierung  "eingefleischte Judenhasser" wieder einmal ein Stöckchen geworfen, und es wirkte wie eine bewusste pauschale Diskriminierung der nach Deutschland Geflüchteten, die nach diesem Zitat mehrheitlich für Antisemiten erklärt wurden.  

 

Gesagt war der Satz auf einem AfD-Parteitag. Darüber zu berichten war und ist unstrittig. Das tun wir bei jeder im Bundestag vertretenen Partei, also auch bei der AfD. Auf welche Erhebung diese 60 Prozent zurückgriffen, war trotz ordentlicher Recherche nicht zu klären, weil es breite Flüchtlingsumfragen zu diesem Thema nicht gibt. Es gibt aber eine Vielzahl kleinerer journalistischer und wissenschaftlicher Arbeiten mit Intensiv-Interviews, mit Befragungen von einzelnen Nationalitäten oder jugendlichen Arabern. Und diese nicht repräsentativen Umfragen machen alle überaus deutlich, dass eine antisemitische Grundhaltung eindeutig mehrheitlich verbreitet ist. Bei Kurden etwas weniger, bei Arabern stark.  

 

Ich will damit sagen, inhaltlich rief dieser Satz des AfD-Politikers nicht nach einer einordnenden Relativierung. Es war mehr das Gefühl, das sich aus der provokanten Formulierung ableitete. Hätten wir relativiert, wäre sehr schnell wieder der Vorwurf des "betreuten Denkens" laut geworden. Nach dem Motto, die linken Medien diktieren, wie welche Stellungnahme zu verstehen sei.  

 

Chemnitz hat Ende August aus meiner Sicht ein wunderbares Beispiel geliefert, wie die Mechanismen, denen wir in zunehmendem Maße ausgesetzt sind, funktionieren. Junger Deutscher getötet, Syrer und Iraker tatverdächtig. Grund der Tötung unbekannt. Professionelle Mobilisierung der rechten Freundeskreise. In der Neonazi- und Hooliganhochburg in Sachsen, mit deutschlandweiter Ausstrahlung. Und alle kommen. Randale, Verletzte, der Staat in der Defensive.  

 

Die sächsische Landesregierung im Dilemma. Voller Angst, gegenüber der starken Pegida/AfD-Klientel weiter an Boden zu verlieren. Windelweiche Erklärungsversuche, wir waren überrascht, wir konnten gar nicht wissen, weil die Vorbereitung ja im Untergrund lief (NSU lässt grüßen!), die Gewalt kam nicht von sächsischen Bürgern, sondern von extra Angereisten und, und, und. Das Bemühen, zu bagatellisieren, war fast in jedem sächsischen Regierungsstatement greifbar.  

 

Und die Rechten ? Sie konstruieren eine notwendige Selbstverteidigung, was selbstverständlich keine Selbstjustiz sei, hacken den Haftbefehl und mokieren sich über die Löschung von dazugehörenden Facebook-Posts. Wir erleben, wie die Demokratie mit ihren eigenen Instrumenten bekämpft wird.  

 

Und unsere Berichterstattung? Ich würde sagen, eher zurückhaltend. Wir bemühen uns, nicht dem Vorurteil des rechtslastigen Ostens Zucker zu geben. Wir bemühen uns, den Eindruck des schon vorhin zitierten "betreuten Denkens" zu vermeiden. Und wir arbeiten im Hinblick auf das Untersuchen, ob Material, das in den sozialen Netzwerken kursiert, ob dieses Material authentisch ist oder nicht, mit einem Aufwand, den es vor zwei Jahren so noch längst nicht gegeben hat. Wir haben die Einrichtung der Faktenfinder. Und wir haben alle Kolleginnen und Kollegen zumindest mit einem Grundwissen ausgestattet, wie sich Material aus unsicheren, unbekannten Quellen verifizieren lässt. Wir möchten keinen Fakes aufsitzen.  

 

Das alles erfordert Personal, das wir aus den normalen Schichtplänen abgeknapst haben. Und das ist aufwändig. Aber unser Credo lautet, Gründlichkeit vor Schnelligkeit.  

 

Da sind wir zugegeben nicht ganz freiwillig draufgekommen, sondern durch Fehler, die durch Nichtprüfen entstanden sind. Vielleicht erinnert sich der eine oder andere, vor ein paar Jahren stand die Tagesschau wegen eines im Bild explodierenden Hubschraubers in der Ukraine in der Kritik. Die Szene zeigte einen Hubschrauber im Gelände. Dann eine kurze, aber fundamentale Explosion und danach das ausgebrannte Wrack des ukrainischen Helikopters. Hubschrauber vordem und nachdem waren korrekt, die Explosion war manipuliert professionell dazwischen geschnitten. Die Recherche erbrachte, dass dies im ukrainischen Fernsehen geschehen war, der deutsche Reporter und sein Cutter hatten die Szene übernommen. Tatsächlich stammte die Explosion, und das war wirklich unangenehm, aus einem anderen Zusammenhang in Afghanistan. Vermutlich war die Intention dabei, die Russen mit dem Angriff auf den Hubschrauber als besonders brutal erscheinen zu lassen.  

 

Gut, dass die Manipulation aufgedeckt wurde. Sie wurde aber von Zuschauern oder Usern erkannt, die Russia Today und der russischen Seite nahestehen. Wir hatten mit dieser Gruppe eine Zeit lang sehr intensiven Austausch und die Vermutung liegt nahe, dass es in der Tat Einrichtungen gibt, die öffentlich-rechtliche Programme kontinuierlich durchforsten, wo solche Fehler auftauchen, um dann durch die Veröffentlichung wieder den Wert der übrigen Nachrichten zu relativieren. Nach dem Motto, denen kann man auch nicht alles glauben. Also quasi eine nützliche, gute Kontrolle aus einem weniger edlen Motiv.  

 

Erlauben Sie mir eine kleine Anekdote aus steinzeitlicher Vorzeit. Vor einem Jahr ist Erich Helmensdorfer im Alter von fast hundert Jahren gestorben, ein profilierter Auslandskorrespondent und Fernsehjournalist und Anfang der Siebziger Jahre Moderator des Fernsehquiz' "Ente gut, alles gut" im Ersten. Das klingt schon nach sehr, sehr lange her.  

 

Da trafen sich sechs Redakteure und Prominente und mussten erkennen, ob Nachrichtenmeldungen der Wahrheit entsprachen oder eine Ente waren. Niedlich, nicht!  

 

"Ente" ! Die nachrichtenbezogene Verwendung dieses Wortes gibt es, glaube ich, gar nicht mehr. Vielleicht steht es sogar auf dem Index einer abzustrafenden, eben nicht mehr journalistischen Missbrauchshandlung. Stattdessen Fake News.  

 

"Ente gut, alles gut" vor 45 Jahren, Fake News heute. Was ist da auf der Strecke passiert? Was hat uns so streng in der Wortwahl gemacht? Was steckt dahinter?  

 

Mir scheint, dass hier weniger ein journalistisches, sondern eher ein gesellschaftliches Phänomen vorliegt. Falschmeldungen sind nicht mehr nur einfach ärgerlich und ein menschlicher Fehler, sondern ganz schnell wird ein taktisches Kalkül vermutet. Absichtliche Manipulation und Desinformation. Hier die Lenkung des amerikanischen Wahlkampfs durch wahrscheinlich von russland-initiierte Hackerangriffe, da die politisch motivierte angebliche Unterdrückung von Flüchtlingsmeldungen, um die Lage im Regierungssinne zu schönen.  

 

Die vermutete Absicht kann durchaus zutreffen, sie kann aber eben auch nicht zutreffen. Das genau ist die Ungewissheit und schafft Verunsicherung.  

 

Die Medien im Allgemeinen und die Öffentlich-Rechtlichen im Besonderen treffen auf einen Argwohn, den es in dieser Form zu Helmensdorfers Zeiten nicht gegeben hat. Mein Chefredakteur hat vor kurzem in einem getwitterten Statement gesagt, Desinformation dürfe nicht auch noch bezahlt werden. Innnerhalb von Augenblicken gab's den Gegentweet, ob der Chef der Tagesschau künftig unentgeltlich arbeiten würde. Na gut. Die Stoßrichtung ist klar.  

 

Ich glaube, dass dieser Argwohn vorrangig mit dem zusammenhängt, was ich vorhin mit dem veränderten Nutzungsverhalten beschrieben habe. Durch die Existenz des Webs sind die Erreichbarkeit der Informationen und der Umfang des Informationsangebotes um ein Vielfaches gestiegen. Im Grunde eine Überforderung für den Normalverbraucher, aber manchmal auch eine Überforderung für uns Journalisten.  

 

Noch einmal der Gedanke, jeder ist sein eigener Programmdirektor. Jeder kann sich zusammensuchen, worum es ihm geht. Und jeder tut das auch. Gut! Das Problem: Fast zu jeder Information gibt es auch eine Gegeninformation. Wer sich kundig machen will, steht oft zwischen sich widersprechenden Positionen, bei denen er nicht einschätzen kann, was stimmt. Er kann auch in der Regel nicht erkennen, was interessensgeleitet ist, was eine Manipulationskampagne ist. Aber er glaubt seinen Informationen, weil er sie ja selbst gefunden hat. Und was dazu im Widerspruch steht, wird ganz schnell als Fake News eingeordnet und ausgeblendet.  

 

So, und jetzt gibt es eine tatsächliche Falschmeldung in den etablierten Medien, die ja zunehmend skeptisch beäugt werden. Es ist ja unstrittig, dass das vorkommt. Siehe der Helikopter in der Ukraine. Irgendjemand entlarvt die Falschmeldung als eine solche. Egal jetzt, ob Süddeutsche, FAZ, Tagesschau oder Spiegel. Die Skeptiker der etablierten Medien werden sehr wahrscheinlich über diese Falschmeldung berichten. Das ist ihr gutes Recht, das müssen sie geradezu. Nur die Folge wird sein, dass der subjektive, meinungsbegründete Eindruck von den Fake-News-Medien in diesem Moment bestätigt ist.  

 

Die Falschmeldung ist jetzt keine "Ente" mehr. Es ist nicht nur "Da haben die mal was falsch berichtet", sondern es ist ein "So sind sie, die Medien. Keine Recherche, einfach mal schreiben." Oder in den Worten von Donald Trump: "Die können einfach schreiben, was sie wollen."  

 

Trump will mit seiner Fake-News-Verwendung besonders die profilierten Medien wie New York Times, Washington Post oder CNN treffen, um deren guten Ruf zu ramponieren und ihm, also Trump, freundlich gesonnene Medien in ihrer öffentlichen Anerkennung zu beflügeln. Viel spricht dafür, dass es dasselbe Motiv ist wie bei der russlandfreundlichen Gruppierung, die uns auf den falschen Helikopter hingewiesen hat. Und diese Taktik findet sich auch bei uns.  

 

Wir sollten uns keine Illusionen machen, die Trump-Strategie, Qualitätsmedien zu Fake News zu erklären, wird immer mehr Platz greifen. Was Hoeness und Rummenigge beispielweise mit ihrer Medienschelte letztens kundgetan haben, schwimmt auf derselben Welle.  

 

Es gibt Parteien, und auch das passt dazu, die längst das Framing als Mittel der politischen Auseinandersetzung entdeckt haben. Die AfD und die CSU gehören dazu. Das Framing kann eingesetzt werden, um gezielt, fast gehirnwäscheartig ein bestimmtes Wording zu platzieren, das zum Beispiel einzelne Personen oder Bevölkerungsgruppen oder Berufsgruppen stigmatisiert oder Ängste schürt.  

 

Bei Trump sind es immer wieder die Fake News Media oder Crooked Hillary oder Müllers Witch Hunt. Bei uns sind es die Messer-Migranten, die die AfD ins negative Licht stellen will, oder Söders Asyltouristen und, und, und. Jeder wird da seine Begriffe im Kopf haben.  

 

Journalistisch stellt sich bei jedem neuen Begriff immer wieder dieselbe Frage, nämlich sollen wir den Begriff quasi als News transportieren und damit die Debatte um das jeweilige Wort einerseits abbilden, andererseits aber auch befördern. Oder sollen wir es bewusst nicht verbreiten und uns dem Vorwurf der Unterdrückung aussetzen. Wir bezeichnen das ja gerne als Stöckchen und argumentieren mit Inbrunst, man müsse nun wirklich nicht über jedes Stöckchen springen. Muss man auch nicht, aber es erfordert immer wieder die Diskussion, wie verfahren wir im Einzelfall praktisch.  

 

In der Regel kommen wir am Ende der internen Debatte zu einer allgemein akzeptierten Position, die in der Regel auch beachtet wird. Das aber ist nur die eine Seite.  

 

Die andere ist, wie sieht unsere Herangehensweise auf den ganzen verschiedenen Plattformen aus? 1'30 in der Tagesschau und drei Minuten in den Tagesthemen lassen mehr Differenzierung zu als ein Kurzvideo bei Facebook oder Instagram.  

 

Ein Beispiel war im April der Auftritt von Mark Zuckerberg vor dem US-Kongress. Das war nun nicht gleich ein Aufmacherthema, aber nahezu alle Ausspielwege haben dieses Thema aufbereitet.  

 

Im Fernsehen war die Herangehensweise analytisch. Die mit Facebook verbundene Datenschutzproblematik stand im Mittelpunkt und der Reporter versuchte die Zuckerberg-Aussagen vor dem US-Kongress für die deutschen User nachvollziehbar zu machen.  

 

Online hieß die Überschrift "Reumütig, selbstbewusst und naiv". Das sind sicherlich Adjektive, die nicht nur nach Beschreibung klingen, sondern zumindest nach Einordnung, vielleicht auch nach Wertung.  

 

Ich räume ein, die Grenzen der Begriffe Einordnung, Wertung, Interpretation und Kommentar sind dehnbar. Wir bemühen uns, dass, was nicht explizit als Kommentar ausgewiesen ist, auch nicht zum Kommentar werden zu lassen. Aber wer online die ausführlicheren fernsehbeitragsbezogenen Artikel anklickt, der sucht in der Regel mehr als die puristische Nachricht. Der sucht Verstehenshilfe. Und das ist ja das, was wir Einordnung nennen. Auf der Basis der reinen Nachricht zu erläutern, was bedeutet diese Nachricht jetzt.  

 

Und das lieferte der Online-Artikel. Im ersten Absatz hieß es: "Wenn es ernst wird, trägt Facebook-Chef Mark Zuckerberg Anzug. Und vor dem Handels- und Justizausschuss des US-Kongresses wurde es ernst: Zuckerberg stellte sich dort stundenlang den Fragen der Senatorinnen und Senatoren. Seine Strategie dabei offenbar: so viel Reue wie nötig."  

 

Das heißt, die Überschrift mit den Vokabeln reumütig und naiv war vom Korrespondenten nicht wertend gemeint, sondern sollte eher die Taktik beschreibend, mit der Zuckerberg aufgetreten war. Und in diesem Verständnis war es eher eine Einordnung als eine Kommentierung. Rote Linie also nicht überschritten.  

 

Bei Facebook und Instagram haben wir mit Untertiteln eine kleine Dialogszene gezeigt, die einen Ausschnitt aus der Anhörung beschrieb. Eine emotionale Herangehensweise. Ein Senator fragt Zuckerberg, wie er selbst mit seinen Daten umgehen würde. Zuckerberg wirkt zögerlich und defensiv, und man glaubt als Beobachter, durch diese kurze Sequenz einen Eindruck von der Stimmung der Anhörung und der Gefühlslage Zuckerbergs zu bekommen.  

 

Ich erwähne dieses Beispiel, weil ich deutlich machen möchte, dass wir längst nicht mehr nur an der puristischen Form festhalten. Aber wir versuchen, erstens nicht den Überblick zu verlieren, was wir auf den sehr unterschiedlichen Ausspielwegen eigentlich verbreiten. Zweitens versuchen wir, den verschiedenen Charakteristika der Kanäle und Plattformen entgegenzugehen. Aber gleichzeitig drittens sind wir auch bemüht, die sachliche, politisch orientierte Linie der Tagesschau und der Tagesthemen, also den klassischen Weg, fortzuführen. Wir wollen bei etwas mehr Emotion die Analyse nicht abschaffen.  

 

Und wenn man ins Kalkül nimmt, dass der politische Druck, uns Fake News, Meldungsunterdrückung, falsche Gewichtung oder vermeintliche Fehler anzulasten, immer größer werden wird, dann können Sie, glaube ich, erkennen, wie komplex die Lage ist. Die Aufgabe heißt, die Gesamtheit unserer Hervorbringungen unter Kontrolle zu haben, nach außen transparent zu machen und nach Möglichkeit eine klare, nachvollziehbare Linie zu fahren.  

 

Das ist gar nicht so einfach. Aber wem sage ich das. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.  

 

Burkhard Nagel